Champagner aus Coswig

Die Geschichte des Kellerhauses

Kellerhaus, Champagnerfabrik, Altdeutsche Weinstube – alles Attribute, die das heute traurig aussehende Haus in Coswig an der Haupt­straße 38 einst trug. Nun wartet es schon lange darauf, aus dem Dornröschen­schlaf geweckt zu werden.

Die Jahreszahl 1763 im Sandstein­bogen über der Eingangstür zu den tiefen Kellern lässt vermuten, dass es zu den ältesten Häusern Coswigs zählt.

In der ersten uns bekannten urkundlichen Erwähnung im Schock-Steuer-Kataster des Dorfes Coswig von 1796 wird es wie folgt beschrieben:
No. 38 Chr. Friedrich Ehregott Petermann, Schencke, besizet das sogenannte Keller Hauß zur Schencke gehörig, darunter 2 Keller befindlich, nebst Unter- und Ober Stube in welchen seine beyden Winzer wohnen.

Einer Legende nach soll sich in diesem Anwesen gar die Karras’sche Schloss­küferei befunden haben. Als bischöfliches Lehn gehörte Coswig bis 1556 dem Ritter­geschlecht der Karrase. Legende oder Wahrheit, den Besitzern war sie als Werbung für den Besuch ihrer Weinstube sicher willkommen.

In einer überlieferten Handskizze von 1929, die die Einwohner­situation des Dorfes Coswig von 1628 darstellt, könnte das Anwesen schon da bestanden haben. Belegen lässt sich seine Existenz und auch die Bezeichnung als Kellerhaus zweifelsfrei erst durch den schriftlichen Eintrag im Schock-Steuer Kataster.

Die Archivakte zum Grundstück Hauptstraße 38 beginnt jedoch erst 1888 mit folgendem Gesuch:
Die sehr ergebenst unterzeichneten Inhaber der Champagner­fabrik von Lorenz Rabenecker in Coswig beabsichtigen in ihrem Fabrik­grundstück … eine Probierstube einzurichten …
Mit Hochachtung ergebenst
Walter Rey
Oskar Herrmann Lahl

Vor 135 Jahren richtete Lorenz Rabenecker in seinem Grundstück in Coswig eine Champagner­fabrik ein, die er bereits ein Jahr zuvor, 1871, vermutlich am Rhein, gründete. Dort wurde er 1829 in Lorch geboren. Auch seine Tochter Elisabetha kam 1860 am Rhein, in Hochheim, zur Welt. Leider ist nicht überliefert, warum er seine Champagner­fabrikation vom Rhein an die Elbe verlegte. Rabenecker produzierte über 10 Jahre lang Champagner in seiner neuen Heimat, bevor er 1885 in Coswig starb.

Der Gesuchsteller Walter Rey, Schwiegersohn von Lorenz Rabenecker, führte nach dem Tod seines Schwieger­vaters die Champagner­fabrikation zunächst mit seiner Schwieger­mutter fort. 1887 wurde er gemeinsam mit dem Kaufmann Oskar Lahl, Inhaber des Geschäftes. Den beiden Kaufmännern gelang es jedoch nicht, ihre Champagner­produktion mit einer dazugehörigen Probierstube zu verbinden. Dieses und weitere Gesuche wurden von der Königl. Amts­haupt­mannschaft Meißen wegen mangelnden Bedarfs stets abgelehnt. 1897 starb Walter Rey mit erst 38 Jahren. Mit seinem frühen Tod endete nach 25 Jahren auch die Erfolg versprechende Champagner­herstellung in Coswig, über die die Kötzschenbrodaer Zeitung noch am 10. Oktober 1896 berichtete:

Offensichtlich konnten seine Witwe, Elisabetha Rey geb. Rabenecker, und der Mitinhaber Lahl die Produktion nicht allein fortsetzen. 1899 stellte deshalb Frau Rey ein erneutes Gesuch zum Einrichten einer Wein- und Probier­stube, um damit den Lebens­unterhalt für sich und ihre Tochter verdienen zu können. Im April 1900 erhielt sie nach mehrmaligen Ablehnungen die Konzession zum Betreiben eines Wein­schankes, die auf ein Zimmer und den Garten beschränkt wurde.

1909 begründete Elisabetha Rey die Tradition der sehr beliebten Kellerfeste. Trotz vieler bürokratischer Hürden wurden sie mit Ausnahme der Kriegs­jahre jährlich veranstaltet. Die Keller­gewölbe, die sich unter dem ganzen Haus erstreckten, boten sicher auch ohne den Mythos, Weinkeller der Ritter Karras gewesen zu sein, eine besondere Atmosphäre. Die Tradition der Keller­feste lebte nach dem II. Weltkrieg kurzzeitig mit dem Heimat- und Schulfest 1952 und den Blumen­festen 1958 und 1960 auf. Zu diesen Anlässen öffnete noch einmal der historische Weinkeller.

Auch wenn Frau Rey die Weinstube zwischen­zeitlich immer wieder verpachtete, blieb sie Besitzerin bis zu ihrem Tode 1939. Ihre Tochter Pauline Kießling erbte das Grundstück. Um Schank­konzession für die inzwischen zwei Gasträume und den Garten suchte jedoch im gleichen Jahr deren Tochter Elisabeth Henker nach. Der damalige Bürger­meister befürwortete das Gesuch mit folgenden Worten: "… Wenn auch in den letzten Jahren die Pächter des "Keller­hauses“ öfters gewechselt haben, so kann man aber jetzt annehmen, dass zufolge der verwandtschaftlichen Beziehungen der Gesuch­stellerin mit der Grundstücks­eigentümerin eine Rentabilität des Wein­lokals gegeben ist, zumal auch der Ehemann der Gesuch­stellerin die dem Kellerhaus gegenüberliegende Gast­wirtschaft "Zur Börse“ bewirtschaftet. …“ Leider ließen dann die Auswirkungen des II. Weltkrieges einen geregelten Gaststätten­betrieb ab 1942 nicht mehr zu. Die Gastzimmer des Keller­hauses wurden nach dem Krieg von der Stadt als Wärme­stuben gemietet. Darauf deutet eine Notiz aus der Stadtratssitzung vom Oktober 1947 hin, in der mitgeteilt wurde, dass die Wärme­stube im Kellerhaus am 1.12. wiedereröffnet werden soll.

Die Zeit des Weinschankes und der Kellerfeste war endgültig vorbei, als das Erd­geschoss 1971 als Zahlstelle für die Sozial­versicherung umgebaut wurde. Nach 1990 befanden sich im einstigen Kellerhaus für einige Jahre die Geschäfts­räume der Deutsche Angestellten Kranken­kasse sowie des Karras-Verlages. Nun darf man gespannt sein, ob es wieder zum Leben erweckt werden kann. Manches verloren geglaubte Gebäude in Coswig bekam nach der Wende eine zweite Chance, indem es denkmalgerecht saniert wurde – warum nicht auch das denkmal­geschützte Kellerhaus mit seiner langen Geschichte?

Schade ist nur, dass man darauf nicht mehr mit Coswiger Champagner anstoßen kann …

Das Kellerhaus 2007

Petra Hamann, Stadtarchiv