"Einem schon längst fühlbaren Bedürfnisse Rechnung tragend ..."

Zur Einführung von Hausnummern in Coswig vor 100 Jahren

Mit dieser viel versprechenden Einleitung wurde am 11. Juli 1908 im Coswiger Tage­blatt über Punkt 4 der Tages­ordnung der Gemeinderats­sitzung vom 7. Juli 1908 berichtet. Dieser Tagesordnungspunkt hieß ganz unspektakulär: Einführung von Hausnummern.

Kaum vorstellbar, dass man vorher ganz ohne Haus­nummern ausgekommen sein soll. Coswig hatte 1907 immerhin 2900 Einwohner. Ganz ohne Orientierung waren die Brief­träger vor Juli 1908 natürlich nicht. Es waren die in der Zeitungs­meldung erwähnten Brand­kataster­nummern, auch Orts­listen­nummern genannt, die den Zweck einer Haus­nummer erfüllten. Im Unterschied zu den jetzt straßen­weise vergebenen Haus­nummern, gab es jede Brand­kataster­nummer in einem Ort nur einmal. Die Häuser eines Dorfes wurden der Reihe nach durchgezählt und erhielten so ihre Ortslistennummer.

Die Brandkatasternummern gehen auf die 1784 in Sachsen gegründete Landes­immobiliar-Brand­versicherungs­anstalt zurück, die der bereits 1729 eingerichteten General­brand­kasse folgte, einer Art erster staatlicher Brand­versicherung. 1835 wurde diese neu geordnet. In diesen Verordnungen wurde u.a. verfügt, dass alle Gebäude mit dem Namen der Besitzer und dem Versicherungs­wert aufzulisten und in ein Kataster einzutragen sind, Catastrirungs­verfahren genannt. Diese Kataster mussten ständig fort­geschrieben werden. Neubauten, Teilungen von Grundstücken oder auch ein Abriss von Gebäuden machten das notwendig. Da die Brand­kataster­nummern fortlaufend vergeben wurden, kann man heute noch grob aus der Höhe der Nummer schließen, welches Haus älter oder jünger als ein anderes ist. Nötigenfalls bekamen die Gebäude bei Teilungen einen Buchstaben­zusatz zur Nummer. Etwas kompliziert wurde es mit dem Gesetz von 1862, das Immobiliar-Brand­versicherungs­wesen betreffend. Die Neuordnung der Landes­immobiliar-Brand­versicherungs­anstalt des Königreichs Sachsen wurde bekannt gegeben. Damit ging die Einführung neuer Kataster einher, was die Vergabe neuer Brandkatasternummern bedingte.

Solch ein Kataster, das offensichtlich als Reaktion auf das Gesetz vom 23. August 1862 angefertigt wurde, ist von Sörnewitz aus dem Jahr 1863 im Stadtarchiv überliefert. Es trägt den schönen Aktentitel: Des Gerichtsamts Meißen Cataster über die in dem Dorfe Sörnewitz mit concessionirten Privat­feuer­versicherungs­anstalten abgeschlossenen Versicherungen

Im § 56 des Gesetzes von 1862 wurde ebenso bestimmt, wie die Brand­kataster­nummern an den Gebäuden anzubringen sind: An dem Haupt­gebäude eines jeden Grundstücks ist auch ferner, wie bisher, diejenige Nummer, welche es im Brand­versicherungs­cataster führt, auf eine vor dem geschlossenen Gehöfte sichtbare Weise oberhalb des Hauptzugangs anzubringen. Da war noch Raum für Gestaltungs­freiheit! 1908 gab es schon genauere Anweisungen. Im Coswiger Tageblatt vom 9. September 1908 war dazu zu lesen:

Heute kann der Hausbesitzer seiner Kreativität zumindest in der Ausführung seiner Haus­nummer (fast) freien Lauf lassen. Die Polizei­verordnung der Großen Kreisstadt Coswig sagt dazu im § 20 Absatz 2 aus:
Die Hausnummern müssen von der Straße aus, in die das Haus einnummeriert ist, gut lesbar sein. Unleserliche Haus­nummern­schilder sind unverzüglich zu erneuern. Die Haus­nummern sind in einer Höhe von nicht mehr als 3 m an der der Straße zugekehrten Seite des Gebäudes unmittelbar über oder neben dem Gebäude­eingang oder, wenn sich der Gebäude­eingang nicht an der Straßenseite des Gebäudes befindet, an der dem Grundstücks­zugang nächstgelegenen Gebäude­ecke anzubringen. Bei Gebäuden, die von der Straße zurückliegen, können die Haus­nummern am Grundstücks­zugang angebracht werden. Die Hausnummern müssen eine Mindest­schriftgröße von 7 cm aufweisen.

Die Mindestschriftgröße der Hausnummern ist offensichtlich in Sachsen nicht einheitlich geregelt. In der Gemeinde Zschorlau z.B. sollen die Haus­nummern mindestens 10 cm hoch sein, aber eine Höhe von 25 cm nicht überschreiten.

Die Brandkatasternummern auf den meist ovalen, blauen Schildern mit weißer Schrift sind heute noch manchmal an älteren Gebäuden zu entdecken. Deren Besitzer sind sich der historischen Bedeutung dieser Schilder oft gar nicht bewusst. Ein schönes Beispiel für die Ausführung des § 56 des Gesetzes von 1862 konnte ich noch in Sörnewitz finden.

An einem Haus in Coswig mit dem Baujahr 1929 gefunden

Ein Blick ins Adressbuch von 1909 lässt erkennen, dass in Altsörnewitz und Brockwitz nur der Name und die Brand­kataster­nummer angegeben sind. Die Adresse hieß dann beispielsweise einfach nur: Brockwitz Nr. 33. Diese Angabe reichte offenbar aus, um das richtige Gehöft zu finden, obwohl Brockwitz 1907 immerhin 1853 Einwohner hatte. Die Straßen trugen noch keine offiziellen Namen. Wie vor Einführung der Brand­kataster­nummern wurden zur eindeutigen Benennung die Berufs­bezeichnungen des Besitzers, Lage oder Aussehen der Höfe aber auch alte Flurnamen­bezeichnungen wenn nötig mündlich beigefügt. Alles war in den Dörfern noch überschaubar. Zur Volks­zählung 1885 wurden in Sörnewitz z.B. 420 Einwohner und 70 bewohnte Häuser gezählt, 1907 waren es bereits 1224 Einwohner. In Neucoswig und Kötitz, 1907 925 bzw. 1682 Einwohner, waren die Straßen 1909 schon benannt. Die Häuser waren aber noch mit den Brand­kataster­nummern bezeichnet. Im durch die Industrialisierung wachsenden Ortsteil Neusörnewitz wurden die Straßen mit dem fort­schreitenden Wohnungs­bau gleich benannt und mit Haus­nummern versehen. So erscheinen sie auch im Adressbuch von 1909.

Ohne Hausnummer dürfte sich vieles in unserem Alltag komplizierter gestalten. Sie dient nicht nur unserer Sicherheit, so dass wir problemlos von der Feuerwehr oder einem Arzt gefunden werden, auch ist sie Voraussetzung dafür, dass die Geburtstags­karte, der Steuer­bescheid oder die Pizza pünktlich den richtigen Empfänger erreichen kann. Halten wir also unsere Haus­nummer in der Mindest­schriftgröße von 7 cm an ihrem durch Polizei­verordnung bestimmten Platz in Ehren und putzen sie vielleicht anlässlich ihres 100. Geburtstages in Coswig mal wieder.

Petra Hamann, Stadtarchiv