Hauptstraße 18/20 - eine stadtbekannte Adresse

Mit dem Bau des neuen Rathauses in der Karrasstraße rückte die Geschichte des alten Rathauses auf der Hauptstraße zunehmend in das öffentliche Interesse. Dieser Artikel versucht Antwort auf einige Fragen dazu zu geben.

Den Namen "Hauptstraße“ erhielt die Dorfstraße offiziell am 27. September 1898 durch Gemeinderats­beschluss. Auf der Gemeinderats­sitzung vom 19. Juni 1991 bekam sie ihn ein zweites Mal, nachdem sie, den jeweiligen politischen Macht­verhältnissen angepasst, in Adolf–Hitler- bzw. Ernst–Thälmann-Straße umbenannt war.

Verwundert waren einige über die Tatsache, dass das Rathaus zwei Hausnummern hat. Das resultiert ganz einfach daraus, dass das Rathaus auf zwei Flurstücken steht. Ursprünglich gehörte der Gemeinde nur das Grundstück mit der Hausnummer 20. Darauf stand vor dem Rathausbau, unmittelbar an der Dorfstraße und noch von Feldern umgeben, das Armenhaus des Dorfes Coswig und als Anbau daran seit 1882 das neue Spritzenhaus.

Historische Ansicht des Rathauses

Das Grundstück Hauptstraße 18 gehörte einem Malermeister Gustav Dietze. Am 20. Januar 1898 sandte dieser ein Gesuch an die Königliche Amts­haupt­mannschaft Meißen, auf seinem Flurstück ein Wohnhaus mit Hinter­gebäude errichten zu dürfen. Das Hinter­gebäude sollte eine Schlachthaus­anlage zur Groß- und Kleinvieh­schlächterei werden. Diese zukünftige Nachbarschaft erschien dem Gemeinderat wenig attraktiv und er legte dagegen erfolgreich Widerspruch bei der Amts­haupt­mannschaft Meißen ein. Denn bereits am 9. März 1897 hatte der Gemeinderat den einstimmigen Beschluss gefasst "auf dem der Gemeinde gehörigen Platze an der Hauptstraße einen (Gemeindeamts)­Neubau zu errichten“. Bis dahin befanden sich die Geschäfts­räume des Gemeindeamtes und die des Standesamtes im Wohnhaus des damaligen Gemeinde­vorstandes Wilhelm Thienemann. Er wollte die Geschäfts­räume aber nicht wieder in sein neues Wohnhaus übernehmen (heute Museum Karrasburg), das er zu dieser Zeit baute. So war man gezwungen, einen Ausweg zu suchen. Die Gemeinderats­sitzungen wurden im Gasthof Coswig (heute "Einheit“) bzw. im Restaurant zur Börse abgehalten.

Nach mehreren Verhandlungen, umfangreichem Schriftverkehr und nachdem die Finanzierung des Baues gesichert war, stimmte die Amts­haupt­mannschaft im Juni 1898 dem Bauvorhaben zu. Den Auftrag zum Bau des Rathauses mit Hinter­gebäude erhielten die Baumeister Gebrüder Große aus Kötzschenbroda. Es sollte 28.500 Mark kosten Die Gemeinde nahm ein Darlehen von 20.000 Mark bei der Königlichen Landes­versicherungs­anstalt auf und erhielt vom Gemeinde­ältesten Dr. Hänel ein günstiges Darlehen über 8.000 Mark.

Ab 18. Juli 1898 wurde gebaut. Das Armenhaus mit Anbau wurde abgerissen und im neu errichteten Neben­gebäude das Spritzenhaus wieder eingerichtet. Am Ende beliefen sich die Baukosten auf 32.000 Mark.

Die erste Gemeinderats­sitzung konnte am 14. März 1899 in diesem neuen Rathaus stattfinden. Die Gemeindeamts­räume und das Standesamt befanden sich in der ersten Etage, ebenso die Räume der Sparkasse. Im Dach­geschoss waren Wohnräume.

Schon auf der Gemeinderats­sitzung vom 9. März 1897 wurde mit beschlossen, "vorläufig die Parterre­räume dieses Neubaus zu Restaurations­zwecken einzurichten“. Adolf Hüfner aus Kötitz war der erste Ratskeller­wirt. Die Erdgeschossräume blieben bis 1936 Gaststätte.

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Bis 1903 tat sich auf dem Nachbar­grundstück nichts. Offensichtlich verkaufte in der Zwischen­zeit Maler­meister Dietze sein Grundstück, denn am 1. Februar 1903 stellte ein Theodor Haschke den Bauantrag für ein Wohnhaus mit Seitengebäude. Erst am 16. Mai 1907 erhielt er dazu die Baugenehmigung mit vielen Auflagen. Die Fertigstellung der Maurer- und Putzarbeiten zeigt er bereits zwei Monate später an. Am 1. Oktober bezieht der seit dem 1. März 1907 amtierende Gemeinde­vorstand Curt Künzel eine Wohnung in diesem Neubau. Nur durch eine Brandmauer getrennt (trotz veränderter Fassade ist sie im Dach heute noch zu erkennen), stehen nun das Rathaus und der Wohnhaus­neubau des Theodor Haschke in einer Fluchtlinie nebeneinander. Die Dach- und Fassaden­gestaltung wurde dem Rathaus angepasst, sodass die beiden Häuser äußerlich wie ein Baukörper erscheinen. Die Wohnung in der 1. Etage hatte zum Hof einen Balkon. Es war ein repräsentativer Bau auf der Hauptstraße entstanden mit schiefer­gedecktem Dach und einer reich verzierten Fassade: die Fenster hatten Sandstein­gewände, die Gauben trugen Bekrönungen und waren mit Sandstein­voluten eingefasst, die beiden straßen­seitigen Giebel waren ebenfalls mit reichem Stuck- und Sandstein­schmuck versehen, den Dachsims über dem Eingang schmückten Sandstein­kugeln auf kleinen Postamenten, Fenster­simse, Gurt­bänder und Ecklisenen gliederten die Fassade.

Fassadenansicht des Rathauses

Am 1. April 1913 ging das Grundstück Hauptstraße 18 durch Kauf in den Besitz der Gemeinde Coswig über. Für die Einrichtung von Geschäftsräumen der Ortskrankenkasse im 1. Obergeschoss wurde 1914 die Brandmauer zwischenden beiden Gebäuden durchbrochen. In den folgenden Jahren wurden mehrere Umbauten im Rathaus vorgenommen.

Da die beiden Sparkassen­räume im Gemeindeamt nicht mehr ausreichten, beschloss man 1927 den Umbau der Erdgeschoss­wohnung des Nachbar­hauses in Spar- und Giro­kassen­räume. Die Fenster im Erdgeschoss werden verändert und ein zweiter Eingang, wie er jetzt noch vorhanden ist, wird geschaffen.

Der Fassadenschmuck fällt der Außen­putz­erneuerung 1928 zum Opfer, die durch die Umbau­arbeiten nötig wurde. In einem Kosten­anschlag vom 23. April 1928 ist zu lesen: "... alten Putz sämtlicher Fronten einschließlich geputzter Simse, Glieder, Rustika­verblendungen und dergl. abzuhacken...Sandstein­fenster­gewände ... rauh zu bearbeiten, den Schluß­stein abzuspitzen ...und die herausstehenden Sandstein­teile vorsichtig weg­zuschlagen ... Dachfenster zu vereinfachen und die unteren Voluten zu entfernen ... Giebel der Straßen­fronten zu vereinfachen, die obere Rundbogen­krönung und die seitlichen obelisken­artigen Aufsätze wegzunehmen, die mittlere simsartige Verzierung abzuschlagen ... zeltdach­förmige Hauben der Dachfenster abzunehmen ...“.

In der Gemeinderats­sitzung vom 11. September 1928 wird von der "Fertigstellung der Rathaus­verbesserung“ berichtet. Zu dieser Zeit war Walther Schmidt Bürger­meister. Er wurde 1934 von Emil Rädel abgelöst. Die bedeutendsten Veränderungen zu seiner Amtszeit waren 1936 der Umbau der Ratskeller­räume zu Amts­zimmern und 1937 die Umgestaltung des Haupteinganges so, wie wir ihn heute kennen.

Mit steigender Einwohnerzahl erwies sich das Rathaus als zu klein und so plante man bereits seit 1941 den Bau eines neuen Rathauses. Auf dem freien Platz gegenüber, wo heute das Rathaus-Center steht, sollte es gebaut werden. Resigniert schließt Bürgermeister Rädel 1944 die Akte mit folgendem Eintrag:

Schließung der Akte

Nach 1945 gab es keine grund­legenden baulichen Umgestaltungen am Rathaus mehr. Einen interessanten Fakt halte ich aber noch für erwähnenswert. In seiner Sitzung am 18. November 1946 stellte der Finanz- und Verwaltungs­ausschuss fest, dass es unbedingt notwendig sei, "an der Vorder- und Straßen­seite des Rathauses die Beschriftung ‘Rathaus Coswig‘ anbringen zu lassen“. Kein geringerer als der Dresdner Maler, Zeichner und Plastiker Hermann Glöckner (1889 – 1987) zeichnete dazu Entwürfe. Da die finanziellen Mittel knapp waren, wurde dieses Vorhaben zugunsten einer neuen Heizungsanlage zurückgestellt.

Am 3. April 2000 wurde nun ein neues Rathaus­kapitel mit der Adresse Karrasstraße 2 aufgeschlagen. Bürger, Rathaus­mitarbeiterinnen und -mitarbeiter profitieren von diesem modernen und zweckmäßigen Neubau und es gibt zu Recht viel Lob.

Bleibt vorerst nur noch die Frage offen, was nach dem alten Rathaus kommt. Da träumen legitim ist, habe ich dazu einen schönen Traum und wünschte, auch der Investor würde ihn träumen und als Referenz an Coswig verwirklichen: Eines Morgens steht das Rathaus, auferstanden wie Phönix aus der Asche, in alter Pracht als ein Stück unverwechselbares altes, neues Coswig an der Hauptstraße 18/20.

Petra Hamann, Stadtarchiv