Auf den Spuren von Emil Hermann Nacke
Diese Serie soll an den Pionier der sächsischen Automobilproduktion Emil Hermann Nacke erinnern. Er lebte von 1843 bis 1933 und war zu seiner Zeit eine schillernde Berühmtheit und weit über seine Wirkungsstätte hinaus bekannt. Heute ist der Name Emil Nacke jedoch zu Unrecht fast vergessen. Dabei reichen die Spuren seines Wirkens bis in unsere heutige Zeit ...
Teil 3: Spurensuche in Abessinien
Eine recht abenteuerliche Geschichte ereignete sich 1908 in Abessinien, dem heutigen Äthiopien, in der ein Nacke-Automobil eine Hauptrolle spielte. Zu jener Zeit wurde das afrikanische Land von Kaiser Menelik II. regiert. Der deutsche Geschäftsmann und Afrikareisende Arnold Holtz, er gründete u.a. die Deutsch-Abessinische Handelsgesellschaft, war bereits mehrmals in Abessinien bei Kaiser Menelik zu Gast. Er versprach dem Kaiser von Abessinien, dessen Vertrauen er besaß, ihn mit einem deutschen Automobil in seiner 2600 m hoch gelegenen Hauptstadt zu besuchen. Dieses Versprechen löste Holtz Anfang des Jahres 1908 ein. Für das gewagte Unternehmen wählte Holtz ein Automobil aus der Fabrik von Emil Nacke! Es war ein 35 HP1 Nacke-Doppel-Phaethon2.
Die Robustheit des Getriebes und der Reifen, sie waren mit einer Gummilösung gefüllt, gaben mit den Ausschlag für diese Wahl. Die Karosserie fertigte die Berliner Firma Neuss. Da das Automobil als Geschenk für den Kaiser gedacht war, ließ Holtz die Karosserie mit dem abessinischen Löwen schmücken. Robust musste das Auto sein, denn an Straßen war in Abessinien noch nicht zu denken. So galt auch als Ziel der Expedition, die Erschließung des Landes durch Automobile auszuloten. Das Nacke-Automobil überstand alle Widrigkeiten wie Wüsten- und Flussdurchquerungen, überwand Felspässe und trotzte mit entsprechendem Kühlwasserverbrauch der ungewohnten Sonnenglut. Das überzeugte auch den Kaiser, und er ließ sich das Nacke-Automobil schenken. Er verschmähte das Auto der englischen Expedition, die gleichzeitig um die Gunst des Kaisers warb.
Arnold Holtz erklärt Kaiser Menelik und seinem Hofstaat den Motor des Nacke-Autos
Über dieses Abenteuer schrieb Arnold Holtz einen eindrucksvollen Bericht, der reich bebildert noch 1908 als Buch mit dem Titel "Im Nacke-Motorwagen nach Abessinien zu Kaiser Menelik" erschien. Dieses wertvolle Buch gehört seit Frühjahr 2003 als ein Glanzstück zum Bestand der Archivbibliothek. Das ist einem Coswiger zu danken, der sich seiner Heimatstadt sehr verbunden fühlt. Durch seine Schenkung wurde es möglich, dass die bemerkenswerte Fahrt des Arnold Holtz und seines Fahrers August Kaufmann durch Abessinien in einem Auto aus der Fabrik von Emil Nacke im Stadtarchiv Coswig nachgelesen werden kann - in der Stadt, in der das Auto gebaut wurde!
Und was ist aus dem Nacke-Automobil geworden? Bei meiner Spurensuche kam mir zufällig ein Besucher des Archivs zu Hilfe, der in Nordrhein-Westfalen wohnt, beruflich aber in Äthiopien zu tun hatte. In Äthiopien stieß er auf die Ereignisse von 1908 um "unseren" Nacke. Als Oldtimer-Fan wollte er nun im Stadtarchiv Coswig alles über Nacke und seine Fabrik wissen. So war er erst einmal erstaunt darüber, dass der einstige Automobilpionier in der Stadt seines Wirkens fast vergessen ist. Zum Verbleib des Autos konnte er sagen, dass es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr in Äthiopien ist. Sollte es überhaupt noch auffindbar sein, dann seiner Meinung nach in Italien oder in den USA. Für die erste Hypothese spricht die Tatsache, dass Äthiopien von 1935 bis 1941 von Italien okkupiert wurde. Während dieser Zeit wurden auch Kulturgüter des besetzten Landes nach Italien gebracht.
Erzählungen nach betrifft es das erste Flugzeug, das in Äthiopien von einem Deutschen gebaut wurde und heute wohl noch in Italien sein soll. Der 2000 Jahre alte Obelisk von Axum, der jetzt von Italien nach Äthiopien zurückgeführt werden soll, ist ein weiteres Beispiel. Er war kürzlich Gegenstand einer Pressemeldung. Es gibt keinen Beleg dafür, ob sich das Nacke-Auto nach der Besetzung noch im Palast des Kaisers Haile Selassi3 befand oder nicht. Auch der Verkauf des Autos nach Amerika ist nicht ganz unwahrscheinlich. Von 1977 - 1991 wurde Äthiopien von Mengistu Haile Mariam regiert. Während seiner Regierungszeit sollen verschiedene Dinge aus dem ehemaligen Besitz Haile Selassis nach Amerika verkauft worden sein. Dazu gehört auch das Auto, das die englische Expedition 1908 in Abessinien zurücklassen musste. War der "Nacke-Phaethon ebenfalls dabei? Vielleicht gibt es irgendwann doch noch eine Antwort darauf.
Herzlich sei Bernd Eichler für die Schenkung des Buches an die Archivbibliothek und Herrn Klaus Gebhardt für wertvolle Hintergrundinformationen gedankt!
Petra Hamann, Stadtarchiv
1 HP: horse power (Pferdestärke)
2 Phaethon (griech. Sagengestalt, Sohn des Sonnengottes Helios) wurden zu damaliger Zeit alle offenen viersitzigen Automobile genannt, deren Karosserien ein Verdeck hatten.
3 Kaiser von Äthiopien von 1930 - 1974
- Teil 1: Spurensuche in Kötitz
- Teil 2: Spurensuche in Radebeul-Naundorf
- Teil 4: Spurensuche in Constappel und anderswo