Sanitätsrat Dr. med. Reginald H. Pierson

Zum 100. Todestag einer Coswiger Persönlichkeit von überregionaler Bedeutung

Teil 2: Der Lebensweg des Arztes der Psychiatrie Reginald Henry Holmes Pierson

Reginald. H. Pierson, erstes Kind eines englischen Komponisten und einer deutschen Schriftstellerin, wurde am 19. November 1846 in Berlin geboren. Seine letzte Lebensstation sollte unser Neucoswig werden.

Sein Weg führte ihn zunächst von Berlin nach Stuttgart, wo er das Gymnasium besuchte. Anschließend studierte er Medizin in Tübingen und Würzburg. In Würzburg promovierte er 1869, mit nicht ganz 23 Jahren, zu einem Thema seines Spezialgebietes, der Psychiatrie.

Die darauf folgende praktische Ausbildung absolvierte er u.a. in der damaligen Landes­irren­anstalt im sächsischen Colditz. Unterbrochen wurden seine Studien durch den Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 – 1871. Daran nahm er als Assistenz­arzt in einem sächsischen Regiment teil. Danach setzte er seine Studien in Kliniken in Leipzig und London fort und legte noch sein Staatsexamen in Würzburg ab.

1873 ließ sich Dr. Reginald Pierson in Dresden als Facharzt für Nerven­krankheiten und Elektro­therapie nieder. Außerdem übte er in den Jahren 1882 -1884 die Funktion eines Distrikts- und Oberarztes am städtischen Siechen­haus Dresdens aus. In den folgenden 10 Jahren (1873 – 1883) arbeitete Pierson neben seiner Facharzt­tätigkeit an zahlreichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Psychiatrie: 1880 erschien "Die Localisation der Hirn­erkrankungen“, 1883 "Über Polyneuritis acuta“ und bereits 1875 seine bedeutende Monographie "Compendium der Electrotherapie“. Dieses Lehrbuch erschien bis 1893 in 6 Auflagen und wurde ins Russische, Holländische, Italienische und Spanische übersetzt. Besonders auf dem Gebiet der Elektro­therapie, die er in seiner nerven­ärztlichen Privat­praxis erfolgreich anwandte, zählte Pierson zu den führenden Spezialisten Deutschlands.

Noch heute ist Pierson bei Sportmedizinern weltweit bekannt. Er beschrieb in seinem Beitrag "Ein Fall von Pseudohypertrophie der Muskeln“, der 1883 in den Jahres­berichten der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, Nr. 86, in Dresden veröffentlicht wurde, die Vorgänge bei der Über­belastung von Sehnen im menschlichen Körper durch motorische Über­beanspruchung. Dieses als "Grazilis-Syndrom“ bezeichnete Krankheits­bild wird deshalb auch nach ihm "Pierson-Krankheit“ genannt.

Pierson gehört somit zu den Medizinern des 19. Jahrhunderts, die nicht nur die fortschrittlichsten technischen Möglichkeiten der medizinischen Therapie und die neuesten Erkenntnisse konsequent für die psychiatrische Behandlung ihre Patienten nutzten, sondern auch selbst mit ihren Forschungen die Entwicklung der Psychiatrie positiv beeinflussten. 1898 erhielt er auf Vorschlag des Sächsischen Ministeriums des Innern von König Albert den Titel "Sanitätsrat“ verliehen.

Titelblatt
Titelblatt "Compendium der Electrotherapie“ (4. Auflage), 1885
Pierson widmete dieses Exemplar seinem Dresdner Kollegen Sigbert Ganser

VerleihungsurkundeVerleihungsurkunde

1884 gab Pierson seine Privatpraxis in Dresden auf, um die Leitung einer seit fast 60 Jahren in Pirna ansässigen "Anstalt für Geistes- und Nerven­kranke“ zu übernehmen. Die rasche bauliche Entwicklung der Stadt Pirna ließ aber keine Erweiterung der Anstalt zu, sondern engte sie eher ein. Auch andere Schwierigkeiten beim Betreiben der Anstalt veranlassten Pierson, sich neu zu orientieren. Ein Angebot zur Verlegung der gesamten Anstalt erhielt Dr. Pierson 1888 aus Neucoswig, vom damaligen Direktor der "Anstalt Lindenhof“, Dr. Franz Jäckel. Er musste sein Amt aus gesund­heitlichen Gründen aufgeben. Da die Suche nach einem geeigneten Grundstück in und um Pirna erfolglos blieb, entschloss sich Pierson zur Verlegung der altein­gesessenen Anstalt nach Neucoswig. Das geschah nach umfangreichen Baumaßnahmen im Herbst 1891.

Als Indiz dafür, dass Reginald Pierson in Neucoswig eine endgültige Heimstatt gefunden hatte, kann wohl seine Heirat im gleichen Jahr gelten. Er heiratete am 11. August 1891 die Engländerin Cornelia Chinnery Brown in Upper Norwood (Großbritanien). Sie wurde 1861 als Tochter eines englischen Arztes in Indien geboren, wo ihre Eltern lebten. Das Ehepaar Pierson hatte zwei Kinder; Sohn Helmuth wurde 1892 und die Tochter Nora 1897 in Neucoswig, Lindenhof, geboren. Leider waren ihm nur 15 gemeinsame Jahre vergönnt und die Kinder verloren früh ihren Vater. Sanitätsrat Dr. med. Reginald H. Pierson starb am 13. August 1906 in einer Dresdner Klinik. Cornelia Pierson überlebte ihren Mann um fast vierzig Jahre. Bis zu ihrem Tod lebte sie in Coswig. Sie starb am 8. März 1946 in den Nachkriegswirren in ihrer Wohnung, Am Ameisenhügel.

Petra Hamann, Stadtarchiv

PS: Herrn Dr. Burgmair sei herzlich für seine freundliche fachliche Unterstützung gedankt.

Quellen: Meißner Tageblatt, 16. August 1906 / Dr. Wolfgang Burgmair, Max-Planck-Institut für Psychiatrie München, 2006