Sanitätsrat Dr. med. Reginald H. Pierson

Zum 100. Todestag einer Coswiger Persönlichkeit von überregionaler Bedeutung

Teil 3: Die Heilanstalt "Lindenhof“ – Piersons Vermächtis

Die beste Beschreibung über das Entstehen der "Heilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke“ auf dem Terrain des Lindenhofes in Neucoswig, lieferte Dr. R. H. Pierson selbst. Er veröffentlichte 1896 unter diesem Titel eine umfassende Beschreibung seiner Heil­anstalt "Lindenhof“ mit zahlreichen Fotografien und mehreren Plänen im Verlag F.C.W. Vogel, Leipzig. Aus diesem Buch wurde in späteren Artikeln über den "Lindenhof“ immer wieder zitiert und es bildet noch immer die authentischste Quelle für unser Wissen über die Anfänge dieser Heilanstalt.

Historie

Einst war der 1747 neu erbaute "Lindenhof“ ein Weinbergs­grundstück, benannt nach den hohen Linden, die ihm ein parkähnliches Aussehen gaben.

Erst 1845, mit dem Verkauf an Dr. med. Gustav Bräunlich, wurde der "Lindenhof“ durch ihn zu einer Anstalt für Geistes­kranke. Nach einer wechselvollen Geschichte eröffnete 1874 der Arzt Dr. Wolff die Anstalt erneut, nachdem sie seit 1867 nur noch von Erholungs­suchenden zu Sommer­aufenthalten genutzt wurde. Er erweiterte das Grund­stück und verbesserte die Einrichtungen der Anstalt. Zehn Jahre danach, 1884, übernahm Dr. Franz Jäckel die Anstalt, der sie wiederum durch An- und Neubauten erweiterte. Nur vier Jahre später sah er sich durch Krankheit gezwungen, seinen Beruf aufzugeben. So fragte er bei Pierson an, ob er seine Pirnaer Nerven­heilanstalt nach Neucoswig verlegen wolle (siehe Teil 2). Nach reiflicher Überlegung entschloss sich Dr. Pierson zum Umzug seiner alt­eingesessenen Heilanstalt von Pirna nach Neucoswig.

Der Neubau

Am 1. August 1891 ging der "Lindenhof“ in Piersons Besitz über. Er plante eine völlige Neu­gestaltung des gesamten Areals in einer Art Pavillon­system. Damit konnten die Anforderungen an die unterschiedlichen Krankheits­zustände der Patienten mit dem ländlichen Charakter des Grund­stückes günstig in Über­einstimmung gebracht werden. Ausgeführt wurde der Plan durch den Leipziger Architekten Anton Käppler.

Plan des Lindenhofes
Erläuterungen

Die Grundsteinlegung für die ersten Häuser erfolgte bereits am 18. Juli 1890. Neben den Villen für die Kranken entstanden ein Gesellschafts­haus, Wirtschafts- und Stall­gebäude sowie ein Maschinen- und Kesselhaus. Abschließend wurde das ganze, durch den Kauf weiterer Parzellen inzwischen 60 000 Quadratmeter große Grundstück mit einer 2,50 m hohen Mauer eingefriedet.

Zu den gewaltigen Bauarbeiten, die alle von Moritz und Bernhard Große, Maurer­meister aus Kötzschen­broda ausgeführt wurden, schrieb Pierson in seinem oben erwähnten Buch: "... Die Arbeiten wurden mit sehr zahlreichen Kräften so rasch ausgeführt, dass bereits im Juli 1891 das sogenannte Hebe­fest gefeiert werden konnte, an welchem sich gegen 400 Arbeiter betheiligten. Am 1. September 1891 zog ich nach Lindenhof, um die letzten Arbeiten besser zu überwachen und fuhr von hier mehrmals wöchentlich nach Pirna zum Besuche der dortigen Patienten. Am 22. Oktober 1891 endlich erfolgte unter meiner Leitung die Ueber­führung der Kranken, 53 an der Zahl, von Pirna nach Coswig mittels eines Extrazuges von 35 Achsen. Dank dem einheitlichen Zusammen­wirken aller vorhandenen Kräfte verlief die Über­siedelung ohne jede Störung; … Gegen Weihnachten 1891 konnte auch das Gesellschafts­haus seiner Bestimmung übergeben werden. Die älteren Gebäude wurden an die neu eingerichtete Wasser­leitung und Entwässerungs­anlage angeschlossen und mit electrischer Beleuchtung versehen; weiterhin wurden neue Park­anlagen geschaffen, in dem Fichten­wäldchen Wege angelegt, an verschiedenen Stellen elektrische Bogen­lampen angebracht. Im Jahr 1892 wurden eine Kegel­bahn und zwei Gewächs­häuser (Kalt- und Warmhaus) gebaut; …“ Zu erwähnen ist außerdem, dass es für die gesamte Anlage eine eigene Elektrizitätsversorgung und eine zentrale Heizungs- und Telefonanlage gab.

SchlusssteinNachdem für die Patienten alles nach neuestem Standard und mit allen Errungenschaften der damals modernsten Technik eingerichtet war, ließ Pierson für sich und seine Familie noch ein Wohn­haus im südlichen Teil des Lindenhofes erbauen. Bis dahin wohnten sie im Herren­haus, dem einzig noch vorhandenen Gebäude aus der Gründer­zeit des Lindenhofes. Im September 1894 konnte die Familie Pierson in die so genannte "Direktoren-Villa“ einziehen.

1896 wurde dann das ehemalige Herrenhaus zu einem Empfangs­gebäude umgebaut. Aufmerksame Betrachter werden die für die bauliche Entwicklung des ältesten Lindenhof-Gebäudes bedeutsamen Jahreszahlen heute noch am Haus entdecken können.

Ein Modell der gesamten Anlage stellte Reginald Pierson auf der großen Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe­ausstellung, die von April bis Oktober 1897 in Leipzig stattfand, der Öffentlichkeit vor. Dafür wurde er mit der Großen Silbernen Medaille ausgezeichnet. Leider sind weder Modell noch Medaille überliefert.

Briefkopf
Briefkopf

Somit ist in diesem Jahr nicht nur dem 100. Todestag von Sanitätsrat Dr. med. Pierson zu gedenken, sondern auch, dass er vor 115 Jahren auf dem Gelände des Lindenhofes eine Heilanstalt für Gemüts- und Nerven­kranke errichtete, deren bauliche Grund­strukturen, vor 110 Jahren vollendet, bis heute erhalten blieben. Mit dem Eintrag auf der Denkmal­liste des Freistaates Sachsen stehen diese Bauten, die Park­anlage in ihrer Gesamtheit und die Einfriedung unter besonderem Schutz, da sie bau- und ortsgeschichtlich sowie künstlerisch bedeutend sind.

Gesellschaftshaus mit Damen- und Herrenvilla
Das "Herzstück“ der Anlage: Gesellschaftshaus mit Damen- und Herrenvilla

Die Heilanstalt

Die Heilanstalt Dr. med. Piersons in Neucoswig wurde bald im In- und Ausland bekannt und zählte zu den renommiertesten deutschen Heil­anstalten auf dem Gebiet der Psychiatrie. Durchschnittlich war sie in den ersten Jahren mit 90 Kranken belegt, darunter auch Ausländer. Zu den bereits erwähnten Annehmlichkeiten für die Patienten gehörten außerdem Einrichtungen, die ihrer Unterhaltung und körperlichen Bewegung dienen sollten: Kegel­bahn, Tennis­platz, Krocket­spiel, Billard-, Musik-, Lese- und Spielzimmer und eine ca. 2000 Bände umfassende Bibliothek. Heute noch erhalten ist der Festsaal mit Bühne im Gesellschafts­haus. Dazu schrieb Pierson: "Zu grösseren Festlichkeiten, die in dem grossen Saal des Gesellschafts­hauses abgehalten werden, vereinigen sich Kranke und Gesunde namentlich bei Gelegenheit der Theater­aufführungen, an welche sich in der Regel ein Ball anschliesst; daselbst findet auch die Weihnachts­bescherung und die Sylvester­feier statt.“ Damit umriss Pierson die Anwendung eines wichtigen Heilmittels, dem er große Bedeutung beimaß: Der ständige Umgang seiner kranken Patienten mit gesunden Mitmenschen. Das Coswiger Tageblatt vom 13. April 1906 äußert sich zur Heil­anstalt "Lindenhof“ u.a. wie folgt: "Der ärztlichen Kunst, die durch die vorzüglichen Einrichtungen und die entsprechende Beschaffenheit aller für den Heilungs­prozeß wesentlichen Faktoren: Ernährung, Wohnung, Pflege, Unterhaltung usw. unterstützt wurde, gelang es, ein Drittel als geheilt und etwa die gleiche Anzahl von Besuchern wesentlich gebessert aus der Anstalt zu entlassen. … Jahraus, jahrein kommen Aerzte von nah und fern, um die Anstalt kennen zu lernen. … Zur Pflege der Patienten und Erledigung des wirtschaftlichen Betriebes sind durchschnittlicht etwa 90 festangestellte Personen, sowie etwa noch 15 Gelegenheits­arbeiter beschäftigt. … Die Anstalt ist also neben ihrer Bedeutung für therapeutische Zwecke auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Institut, dessen Fehlen in unserem engen Vaterlande zweifellos eine Lücke bedeuten würde. …“

Pierson machte mit seiner Heilanstalt nicht nur Neucoswig und Coswig überregional bekannt, sondern er war gleichzeitig einer der wichtigsten Arbeit­geber für die Bewohner dieser Orte und ein nicht zu unterschätzender Steuer­zahler für Neucoswig. Heute wäre sicher jeder Wirtschafts­förderer glücklich über solch einen Investor! Neben dem ärztlichen und dem in der Verwaltung tätigen Personal fanden u.a. Pfleger und Pflegerinnen, Köchin, Küchen- und Stuben­mädchen, Plätterinnen und Wäscherinnen, Maschinisten, Heizer, Gärtner und Kutscher Arbeit. Viele von ihnen waren langjährig und manche über Generationen im Lindenhof beschäftigt.

 

Der Lindenhof nach Piersons Tod

Als Sanitätsrat Dr. med. Pierson im August 1906 starb, hatte er bereits seit einiger Zeit seinem langjährigen Mitarbeiter, Herrn Dr. med. Friedrich Lehmann, die ärztliche Leitung seiner Heil­anstalt "Lindenhof“ übertragen. Um Piersons Lebens­werk über seinen Tod hinaus fortzuführen, gründeten seine Erben im April 1907 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Cornelia Pierson wurde Geschäfts­führerin dieser Gesellschaft, die zwei Monate später Dr. Lehman als Direktor der Heilanstalt anstellte. Neben der ärztlichen Leitung wurde ihm auch die Aufsicht über den wirtschaftlichen Betrieb der Anstalt übertragen. Sicher wurde in den folgenden Jahren alles dafür getan, um die Heilanstalt im Sinne Dr. Piersons weiterzuführen. Der Ausbruch des I. Weltkrieges verhinderte jedoch einen dauer­haften Fortbestand. Noch am 22. Oktober 1916 schrieb der Neucoswiger Gemeinde­vorstand Krause im Namen der Gemeinde an Frau Cornelia Pierson und "die wohllöbliche Gesellschaft Dr. Piersons Erben“: " Am heutigen Tage erfüllt sich ein Viertel­jahrhundert seit dem Tage, an dem der verstorbene Besitzer der Heilanstalt "Lindenhof“ … nach unserem Orte übersiedelte. … Wir wünschen insbesondere, dass die Anstalt, die sich, seit dem sie sich im Besitze der Familie Pierson befindet einen weit über die Grenzen des Reichs hinaus gehenden Ruf erworben hat, unter bewährter Leitung und unter dem Schutze eines baldigen Friedens weiter aufblühen möge zum Segen der leidenden Menschheit. …“ Leider erfüllten sich die Wünsche nur zum Teil. Zweifelhaft ist, ob nach dem Krieg der Anstalts­betrieb wieder aufgenommen werden konnte, denn bereits am 9. Januar 1920 meldete die Volks­zeitung, dass die Heilanstalt Lindenhof in den Besitz der Landes­versicherungs­anstalt Sachsen überging. Dass dieser Verkauf auch eine politische Dimension hatte, zeigt die folgende Überlegung der Volks­zeitung an gleicher Stelle: "Die Gemeinde büßt durch den Verkauf des Lindenhofes ihre beste Steuerkraft ein und dürfte der Anschluss unserer Gemeinde an die Gemeinde Coswig nunmehr das Gebot der Stunde sein.“ – Was dann auch folgerichtig am 1. April 1920 geschah.

Die Heilstätte

Die Landesversicherungsanstalt übernahm den gesamten Pierson’schen Besitz auf einem Gelände von knapp 10 Hektar: " …13 mehr oder minder große, sehr solid gebaute Häuser samt Einrichtung, Park und Wald­bestand sowie Gärtnerei­betrieb in besonders großem Ausmaß …“, wie die Volkszeitung am 3. Februar 1920 zu berichten wusste. Noch im gleichen Monat sollten die Häuser zunächst mit 200 bis 250 lungen­kranken Frauen belegt werden. …zum Segen der leidenden Menschheit – wenn auch auf andere Weise, so erfüllte sich dieser Wunsch des Gemeinde­vorstandes Krause dann doch noch. Für lungen­kranke Männer unterhielt die Landes­versicherungs­anstalt bereits eine Heilstätte in Hohwald. Tuberkulose und Lungen­krankheiten breiteten sich nach dem Krieg rasch aus und Behandlungs­stätten waren dringend notwendig. So wurde aus der renommierten Heilanstalt für Gemüts- und Nerven­kranke des Dr. Pierson die ebenso anerkannte Heilstätte Lindenhof für Lungen­krankheiten und Tuberkulose. Die erste Erweiterung der bestehenden Gebäude erfolgte 1931 mit einem modernen Klinik­gebäude und ermöglichte erstmals chirurgische Behandlungs­verfahren der Tuberkulose. In den sechziger Jahren verschwand der Name Lindenhof aus der Bezeichnung. Es war dann die “Klinik für Tuberkulose und Lungen­krankheiten“ und danach das "Bezirks­krankenhaus für Lungen­krankheiten und Tuberkulose Coswig“. Heute präsentiert sich der ehemalige Lindenhof als erfolgreich privat betriebenes "Fach­kranken­haus Coswig – Zentrum für Pneumologie und Thorax­chirurgie“, wie es nun heißt. Mit einem 2003 neu gebauten, modernen Bettenhaus und 2004 eingeweihtem neuen Operations­trakt entspricht es jetzt den Erfordernissen unserer Zeit.

Verpasste Gelegenheiten?

Nach seinem Tod wurde dem Gründer der Heilanstalt "Lindenhof“ ein Denkmal gesetzt. Eine Kalk­sandstein-Büste des Dr. Reginald H. Pierson wurde auf einem hohen Stein­sockel am 7. Juli 1910 im Park, im Eingangs­bereich seiner Wirkungs­stätte, aufgestellt. Leider fristet sie heute nur noch ein Schatten­dasein. In der DDR-Zeit wurde die Büste an den Rand des Parks versetzt. An der ursprünglichen Stelle wurde dafür die Plastik einer Schwimmerin aufgestellt. Der neue Standort unter hohen Bäumen bekam dem Kalk­sandstein der Büste nicht. Zum Schutz vor weiteren schädlichen Umwelt­einflüssen und eventuell auf eine Restaurierung harrend, befindet sie sich heute im Treppen­haus des ehemaligen Gesellschafts­hauses. Wünschenswert wäre, wenn das Denkmal für den Gründer der Heilstätte "Lindenhof“ nach einer Restaurierung wieder einen für alle zugänglichen Platz im Park des heutigen Fach­kranken­hauses bekommen würde. Schade auch, dass der Arzt Dr. med. Reginald H. Pierson und sein Lebens­werk kürzlich keine Chance vom Coswiger Stadtrat bekamen, in einem Straßen­namen in unmittelbarer Nähe des "Lindenhofes“ weiterzuleben. Ebenso schade ist, dass sich der schöne Festsaal im ehemaligen Gesellschafts­haus in einer Art Dornröschen­schlaf befindet. Könnte er nicht zum Beispiel durch Kammer­konzerte, Lesungen oder Vorträge wieder mit Leben erfüllt werden?

Festsaal
Festsaal

Zum Schluss soll Dr. Reginald H. Pierson noch einmal selbst zu Wort kommen mit dem Schluss­satz aus seinem Buch von 1896: "Ich bin weit entfernt davon, dieses erfreuliche Gedeihen der Anstalt mir als Verdienst anzurechnen; ich constatiere es nur mit dem Gefühl der Dankbarkeit für alle Diejenigen, die dazu beigetragen haben, und mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass auch in Zukunft ein günstiges Geschick über dem Lindenhofe walten möge.“

Petra Hamann, Stadtarchiv