Der 13. Februar 1945 in Coswig

Aus den Erinnerungen eines damals 15-Jährigen

-- Dienstag, 13. Februar 1945, eigentlich ein Tag wie jeder andere, außer dass auf dem Kalender Fasching stand. Nein, eigentlich waren diese Tage immer spannungs­geladen – es war ja noch Krieg. So trat ich auch an diesem Tag, als „Hitlerjunge im Kriegs­einsatz“, befehlsgemäß meinen Dienst um 20 Uhr an. Mein Einsatzort war der Kiosk am Bahnhof Coswig. Es fanden sich unter Leitung einer Frau der National­sozialistischen Volks­fürsorge und einer Schwester vom DRK drei Mädchen vom Bund Deutscher Mädchen und drei Jungen der Hitlerjugend ein. Unsere Aufgabe bestand darin, Flüchtlingen bei der Weiterfahrt zu helfen oder sie mit ihren Habseligkeiten in eine Not­unterkunft zu leiten. In Coswig gehörten dazu die Turnhalle der heutigen Leonhard-Frank-Mittelschule sowie die Klassen­räume der ehemaligen Gewerbe­schule. Außerdem wurden Bedürftige von der Stadt durch uns mit Frühstück und Abendbrot versorgt. Unser Dienst lief im 12-Stunden-Rhythmus: Von 8 Uhr bis 20 Uhr bzw. von 20 Uhr bis 8 Uhr. Am Tag danach gab es gewöhnlich schulfrei.

An diesem 13. Februar heulten gegen 22 Uhr die Sirenen. Bei Alarm hatten wir die Flüchtlinge und Reisenden in den Luftschutz­raum des späteren Ärzte­hauses Sachsen­straße zu leiten. Erst hörten wir das gewöhnte Dröhnen der Bomberpulks und kurze Zeit später den Schrei der Kameraden, die an der Tür standen: „Dresden brennt!“ Der Feuerschein am Himmel ließ keinen Zweifel. Dann kam Entwarnung. Aber alle Züge in Richtung Dresden endeten nun in Coswig, darunter auch ein Militär­transport. In die Hektik, die eingetreten war, ertönte gegen 24 Uhr erneut Flieger­alarm. Und dann sahen wir sie – „Christbäume“, Leuchtsignale, standen am Himmel, und sie schienen in Richtung Coswig zu kommen! Der Himmel über Dresden bot ein schauriges Farbenspiel. Er sah aus, als ob brennender Phosphor herabfiel. Das entsetzliche Sirenen­signal „Luft­lande­truppen“ versetzte uns erneut in Schrecken! Die in Coswig in Quartier liegende Motschützen­einheit der Wehrmacht rückte in Richtung Moritzburg aus und unser Heldenmut war kaum noch zu sehen. Bald stellte sich aber heraus, dass in der Aufregung jemand die Fallschirme der Leuchtsignale falsch gedeutet hatte. Der 14. Februar zog herauf, bei uns hell und klar. Die Angehörigen des Volks­sturmes und die Hitler­jugend wurden zu ersten Einsätzen nach Dresden befohlen, und wir leisteten weitere 12 Stunden Bahnhofs­dienst. Da alle Züge außer Plan geraten waren, stauten sich auch die durch­reisenden Flüchtlinge und von Dresden tauchten die ersten Opfer auf, notdürftig bekleidet, Ruß verschmiert, mit ihrem Hab und Gut, in Angst und Eile zusammengerafft. Wir halfen ihnen so gut wir konnten. Die Sonne stand im Mittag, als am klarblauen Himmel von Westen her, ohne Alarm, neue Bomberpulks aufflogen. Man konnte mit bloßem Auge die fallenden Bombenketten sehen ... . --

Wie viel Leid mag der fünfzehnjährige Junge und seine Kameraden an diesem 14. Februar 1945 am Coswiger Bahnhof gesehen haben! Eine Ahnung davon gibt eine hand­geschriebene Liste, die im Stadtarchiv überliefert ist. Sie enthält die Namen von 410 Personen, die nach den Bomben­angriffen aus Dresden geflohen sind und in Coswig erste Unterkunft fanden. Für viele von ihnen wurde Coswig für immer zur Heimat.

An dieser Stelle möchte ich Herrn Herbert Winkler herzlich danken. Ihm verdanken wir diesen Zeitzeugenbericht aus einer Zeit, an die das Erinnern schmerzlich ist.

Petra Hamann, Stadtarchiv Coswig