Von der Kaufhalle zum Supermarkt - alles Netto

Sächsische Zeitung vom 6./7. Oktober 1977:

Ihr Ziel: Zufriedene Kunden

Größte HO-Kaufhalle des Kreises öffnete an der Otto-Buchwitz-Straße in Coswig ihre Pforten

Seit Dienstag ist die größte Verkaufseinrichtung im Kreis Meißen die neuerbaute HO-Kaufhalle im Neubau­gebiet Coswig, Dresdner Straße. Mit ihrer über 1000 m² Verkaufs­raum­fläche ist sie fast dreimal so groß wie die HO-Kaufhalle im Spitzgrund. Sie erleichtert vor allem den Einwohnern im Neubau­gebiet den täglichen Einkauf; denn hier ist alles unter einem Dach vorhanden. Neben sämtlichen Nahrungs- und Genuß­­mitteln reicht die Palette der Haushalt- und Chemie­erzeugnisse von Töpfen bis zur Auto­kosmetik, von Papier­waren bis zu Textil- und Kurzwaren. Täglich frisch werden Obst und Gemüse, Fleisch und Wurst, Back- und Konditorei­waren, Frisch­fisch, Räucher­ware, Salate, Milch- und Molkerei­produkte angeboten. Kooperations­verträge mit mehreren Zulieferern sichern ständig stabile Sortimente. 16 Kühlregale und 20 Tiefkühltruhen halten leicht Verderbliches frisch.

Am Montag überzeugten sich Mitglieder des Sekretariats der SED-Kreisleitung mit Genossen Heinz Richter, I. Sekretär, und Mitglieder des Rates des Kreises mit Genossen Walter Fuchs bei einem Rundgang durch die neue Kaufhalle von der Zweck­mäßigkeit und dem breiten Sortiment in dieser modernsten Versorgungs­­einrichtung des Kreises. Das Kollektiv der Kaufhalle überreichte Genossen Richter eine Mappe mit Verpflichtungen, in der sich vor allem die Genossinnen und Genossen der Parteigruppe zu hohen Leistungen bereit erklären.

Eröffnung HO-Kaufhalle

Brigade bei der Eröffnung der HO-Kaufhalle

Die Mitarbeiter der Kaufhalle formierten sich zu drei Kollektiven, die den Namen "60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktober­revolution", "Vorwärts" und "8. März" tragen und die bereits den Kampf um den Staatstitel und um den Ehrennamen "Brigade der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" aufgenommen haben. Alle Genossen und Mitarbeiter wollen sich weitere Kenntnisse des Marxismus-Leninismus an eignen, um die Beschlüsse von Partei und Regierung noch besser erfüllen zu können.

Alle drei Brigaden wenden die Christine-Holste-Methode an, damit jeder Kunde zufrieden die Versorgungs­einrichtung verläßt. Am Eingang der Kaufhalle werden die Besten gewürdigt und persönliche Verpflichtungen der Mitarbeiter bekannt gemacht. Der Erfahrungs­austausch steht ebenso im Mittelpunkt wie die Verbindung der Kollektive zu Einrichtungen der Volks­bildung im Neubau­gebiet. Drei FDJlerinnen baten um Aufnahme in die Partei der Arbeiterklasse. Das ist der Beitrag des Kollektivs zu Ehren des 60. Jahrestages des Roten Oktober und des 28. Jahrestages der Gründung der DDR.


Ihr Ziel: Zufriedene Kunden, konnte sie ebenso nicht erreichen, wie ihren 25. Geburtstag, die einst größte HO-Kaufhalle des Kreises Meißen im Neubau­gebiet Dresdner Straße. Anlässlich des Tages der Republik wurde sie am 2. Oktober 1977 ihrer Bestimmung übergeben, sehnlich erwartet von allen Coswigern.

Die Hoffnung, dass sich die Versorgungslage damit entspannen würde, erfüllte sich nur zum Teil. Der flotte Spruch: "Es gibt alles nur nicht immer, nicht überall und schon gar nicht, wenn es gebraucht wird“, behielt seine Gültigkeit. Wer erinnert sich nicht mit Grauen an die Vorbereitung größerer Familien­feiern wie Schul­anfang und Jugend­weihen, die dann in Coswig hundertfach gefeiert wurden oder, sobald die wärmere Jahreszeit anbrach, an die legendären Schilder auf Bier- und Selters­kästen "Bitte nur 5 Flaschen entnehmen“, falls es überhaupt etwas davon gab. Da half den Verkäuferinnen auch die Anwendung der Christine-Holste-Methode (was immer sie beinhaltete) nicht mehr weiter. Der Trost, dass es den anderen Handels­einrichtungen auch nicht besser ging, blieb ihnen. Die Ursachen der Versorgungsengpässe lagen tiefer.

Als dann aus der Kaufhalle ein Supermarkt wurde, konnte man wieder vielfaches Stöhnen beim Einkauf hören. Aber nun deshalb, da man sich zwischen all den Bier- und Mineral­wasser­sorten entscheiden musste, und die Preise auch nicht mehr sozialistisch geregelt waren. Geregelt wurde das weitere Schicksal dieser markt­wirtschaftlich gewandelten sozialistischen Einkaufs­stätte dann im August 2002 durch die Flut. Jetzt wächst an gleicher Stelle, mit bescheidenerem Grundriss, ein neuer Einkaufsmarkt empor. Sentimentale Blicke zurück dürften sich in Grenzen halten - bis bald also dann im "NETTO“!

Petra Hamann, Stadtarchiv